Interview mit Werner Rottler und Georg HiltnerDigitalisierung, Energiewende, Fachkräftesicherung als Chance und Herausforderung
2021 war ein schwieriges Jahr – Corona, eine Bundesregierung, die zuletzt wenig entscheidungsfreudig war, eine neue Regierung, die sich erst noch finden musste.
Was bleibt Ihnen im Rückblick vor allem im Gedächtnis?
Rottler: Das Jahr 2021 war für uns alle eine große Herausforderung. Aber ich glaube, wir haben das im Rückblick ganz gut gemeinsam gemeistert. Die meisten Branchen konnten durchgängig weiterarbeiten, einige Berufe hat es durch Corona besonders hart getroffen. Meines Erachtens könnte das Handwerk sogar in gewisser Weise von der zurückliegenden Zeit profitieren, weil es so gut durchgehalten hat und die Menschen das zur Kenntnis genommen haben. Die Nachwuchsgewinnung lief besser als erwartet, wir hatten kaum Einbußen bei den Auszubildendenzahlen. Trotzdem bleibt das unsere größte Herausforderung: Wir dürfen nicht nachlassen, um Auszubildende zu werben.
Hiltner: Wenn ich an die Herausforderungen der Handwerkskammer denke, so waren diese immer noch stark von der Pandemie geprägt und die teilweise existenziellen Anfragen hierzu entsprechend zahlreich. Wir haben bei der Begleitung der Betriebe immer versucht, persönlich und pragmatisch zu helfen. Um die Anliegen des Mittelstandes und die Funktion als Bildungsträger direkt und eindeutig einzufordern, haben wir die Kommunikation in die Ministerien hinein deutlich verstärkt. Dies hat dann auch zu positiven Effekten geführt. Manche geplanten Maßnahmen wurden in den Verordnungen praxisnäher umgesetzt. Für mich war es wichtig, dass der Betrieb in unseren Bildungshäusern, auch digital, weiterlaufen konnte, sodass jeder erfolgreich seine Aus- und Weiterbildungsziele erreichen konnte. Das war nicht immer einfach, aber die Lehrkräfte, Prüfungsausschüsse und die Verwaltung haben als Team toll funktioniert.
Welche Umbrüche erwarten Sie in den nächsten Jahren?
Hiltner: Wir stehen durch die Möglichkeiten der Digitalisierung vor großen Veränderungen. Digitalisierung verändert Arbeitsprozesse und Vertriebsmöglichkeiten, aber auch Kundenwünsche. Betriebe, die sich hier strategisch gut aufgestellt haben, werden mit diesen Veränderungen gut zurechtkommen und auch als Arbeitgeber punkten. Für die Betriebe, die verstärkt Hilfestellungen benötigen, wenn es z.B. um die Digitalisierung oder Zukunftsfähigkeit geht, werden wir versuchen, noch bedarfsorientierter zu beraten. Wichtig ist uns, entsprechende Fördermaßnahmen des Landes zu verstetigen, etwa im Rahmen der Zukunftsinitiative Handwerk 2025. Abgesehen davon werden sich durch die Energiewende zahlreiche neue Perspektiven für das Handwerk eröffnen.
Welche Chancen sehen Sie dabei konkret für das Handwerk?
Hiltner: Handwerksunternehmen setzen die Klimawende aktiv um, indem sie nicht nur energetisch beraten, sondern durch den Einbau entsprechender Technologien oder Sanierungsmaßnahmen dabei helfen, Energie einzusparen. Das wird in großem Rahmen nachgefragt werden, da bin ich mir sicher. Immer mehr Menschen wünschen sich außerdem in Zeiten der Globalisierung verstärkt Produkte aus Rohstoffen mit nachvollziehbarer Herkunft. Und die sollten möglichst noch umwelt- und menschengerecht produziert werden. Und genau das bietet das Handwerk.
Neben den Megathemen Nachhaltigkeit und Digitalisierung treibt viele Handwerksunternehmer gerade um, woher Sie Ihre Fachkräfte für die Aufgaben der Zukunft bekommen sollen.
Wo sehen Sie Lösungsansätze?
Rottler: Wir haben viele zugewanderte Menschen im Land, deren Potenziale wir nutzen können. Dabei ist das Erlernen der Sprache das A und O. Der demografische Wandel bringt es mit sich, dass wir auch langfristig unseren Fachkräftebedarf nicht aus den eigenen Reihen decken können. Die Jahre der Babyboomer sind vorbei. Daher müssen wir kreative Lösungen finden und vor allem stetig für das Handwerk werben als eine Zukunftsbranche, in der man sich mit seinen Talenten einbringen und eine tolle Karriere verfolgen kann. Ich wünsche mir dabei von den Schulen noch eine offenere Berufsorientierung – auch Gymnasiasten können schließlich gute Handwerker werden, denn auch dort sind nicht alle für die akademische Laufbahn geeignet.
Was denken Sie, welche Erwartungen haben die Handwerksbetriebe an die Handwerkskammer?
Rottler: Sie wünschen sich einen Dienstleister, der sie in all ihren betrieblichen Anliegen begleiten und gut beraten kann. Zeit ist im Unternehmen Geld, und hier kann man durch die Möglichkeiten der Digitalisierung einiges wettmachen. Diese Themen werden sicher immer wichtiger, auch in der Beratung. Und auch Corona wird uns wohl noch weiter begleiten. Da wird die Kammer einerseits Übersetzungsarbeit leisten müssen, andererseits sich auch dafür einsetzen, dass mögliche Maßnahmen mittelstandsfreundlich sind.
Womit können die Handwerksbetriebe 2022 rechnen?
Rottler: Wir werden im Bereich der Berufsorientierung viele Angebote für Jugendliche machen, um ihnen das Handwerk näherzubringen. Gleichzeitig wird es Veranstaltungen für Betriebe zum Thema „nachhaltig ausbilden“ geben. Auszubildende zu finden, zu binden und zu halten ist schließlich eine der wichtigsten Zukunftsaufgaben im Handwerk.
Hiltner: Wir wollen außerdem mit unseren Angeboten noch spezifischer auf unterschiedliche Zielgruppen eingehen, beispielsweise auf Kleinstbetriebe und Soloselbständige. Diese Gruppe wächst und hat andere Bedarfe als ein Durchschnittshandwerksbetrieb. Wenn man Unternehmer, handwerkliche Fachkraft, Marketingleiter und Buchhalter in Personalunion ist, muss man sich gut organisieren. Und sich vor allem gut absichern. Da sehe ich noch viel Beratungsbedarf. Abgesehen davon wird das Thema Nachhaltigkeit in all seinen Facetten 2022 im Mittelpunkt unserer Arbeit stehen. Die Mitgliedsbetriebe dürfen gespannt sein.
Die Fragen stellte Petra Schlitt-Kuhnt.