Georg Hiltner spricht im Interview über die Bedeutung und Zukunftsfähigkeit handwerklicher BildungsstättenNachhaltig wettbewerbsfähig
Herr Hiltner, in Baden-Württemberg gibt es mehr als 60 Bildungszentren in Trägerschaft handwerklicher Organisationen. Welchen Stellenwert nehmen diese ein?
Mit unseren Bildungshäusern übernehmen wir Aufgaben, die von keiner privatwirtschaftlichen Einrichtung abgedeckt werden: Wir bieten in unseren Werkstätten eine handwerkliche Berufsorientierung für Jugendliche an, führen die überbetriebliche Ausbildung durch, qualifizieren Handwerker fachspezifisch und kaufmännisch weiter, bieten Meisterkurse, Fachwirte- und den Betriebswirt nach der HwO an. Kurz gesagt, wir sorgen durch aufeinander aufbauende Bildungsangebote dafür, dass die Wettbewerbsfähigkeit unserer Betriebe durch qualifizierte Fach- und Führungskräfte im Handwerk erhöht wird. Dabei werden wir durch Land und Bund finanziell unterstützt.
Was waren in den letzten Jahren die wichtigsten Entwicklungen im Bildungsbereich?
Berufsspezifische technische Veränderungen müssen sich natürlich auch in unserer Aus- und Weiterbildung widerspiegeln. Da haben wir in den letzten Jahren dank staatlicher Fördermittel viel investiert. Mindestens ebenso wichtig sind aber methodisch-didaktische Entwicklungen und neue, digitale Unterrichtskonzepte, die wir umgesetzt haben. Künftig wollen wir den Präsenzunterricht noch stärker durch attraktive Videoformate ergänzen. Wir haben bereits eine Förderzusage des Landes für ein Projekt erhalten, das unsere Lehrmeister in diesem Bereich fit machen soll.
Corona hat die Bildungshäuser nun vor große Herausforderungen gestellt …
Ja, sicher. Wir mussten mehrere Monate schließen und sind froh, dass aktuell zumindest alle prüfungsrelevanten Kurse stattfinden können. Im Bereich der Weiterbildungen konnten wir oft sehr spontan auf Online-Unterricht zurückgreifen. Dabei hat es uns geholfen, dass wir uns schon vorher digital gut aufgestellt hatten.
Welche Zukunftsthemen sollten die Bildungshäuser künftig mit in ihr Portfolio aufnehmen?
Da sehe ich ganz klar das Thema Nachhaltigkeit in all seinen Facetten. Einerseits möchten wir Angebote schaffen, die Betriebe bei wachsenden Geschäftsfeldern im Energie- und Umweltbereich unterstützen können. Viele Handwerksunternehmen wirtschaften schon jetzt sehr verantwortungsvoll und denken in Generationen. Der ein oder andere benötigt aber vielleicht noch Hilfe, um für seinen Betrieb eine klare Nachhaltigkeitsstrategie zu entwickeln – und auch da wollen wir gerne zur Stelle sein. Nachhaltigkeit ist dabei ein wichtiger Baustein der Marke Handwerk, mit dem sich auch in der Nachwuchswerbung arbeiten lässt. Auch hier sehe ich einen künftigen Qualifizierungsbedarf.
Trotz immer neuer Themenfelder für die Weiterbildung sorgen sich die Kammern scheinbar um ihre Bildungshäuser. So fordern Sie in einem Positionspapier die noch zu wählende neue Landesregierung auf, die Bildungsstätten des Handwerks zukunftsfähig zu finanzieren. Was steckt dahinter?
Unsere Bildungsstätten zu unterhalten erfordert einen immer größeren finanziellen Aufwand und funktioniert nur mit staatlicher Unterstützung. Diese muss planbar und mittelfristig noch stärker fließen. Nun fordern einige Parteien zu Recht, die Meistervorbereitung im Sinne einer Gleichwertigkeit von akademischer und beruflicher Bildung kostenlos anzubieten. Das würden wir natürlich auch begrüßen. Gleichzeitig ist die Meistervorbereitung Teil unseres nicht gewinnorientierten Geschäftsmodells in den Bildungsstätten. Ohne diese Einnahmen wäre die überbetriebliche Ausbildung nur durch einen deutlich höheren AFA-Beitrag der Betriebe finanzierbar. Und das wollen wir nicht. Daher müssten in diesem Fall Land und Bund den Förderrahmen rechtzeitig neu ausgestalten. Wir fordern von der Politik, das System der handwerklichen Bildungsstätten als wichtiger Partner der dualen Ausbildung in seiner Gesamtheit im Blick zu behalten, damit es nicht in eine Schieflage gerät.