BeratungUnterstützung für psychisch kranke Mitarbeiter
Mit 54 Jahren ist Robert Bock psychisch am Ende. Seine Ärztin in der Psychiatrie macht ihm damals wenig Hoffnung: „Ob wir Sie nochmal hinkriegen, weiß ich nicht.“ Die Diagnose: Schwere, rezidivierende Depression. Dass es so weit kam, hat Robert Bock nicht bemerkt. Damit ist er nicht allein: Psychische Erkrankungen nehmen zu, und der Umgang damit ist für alle Beteiligten nicht einfach.
Viola Bischoff, Expertin für Arbeitsrecht bei der Handwerkskammer Konstanz, schätzt, dass sich der Beratungsbedarf hinsichtlich psychischer Erkrankungen in den letzten fünf Jahren verdoppelt hat. Und Simon Senner, Chefarzt für Sozialpsychiatrie am Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Reichenau, meint sogar: „Insbesondere die Fehltage aufgrund von psychischen Erkrankungen nehmen dermaßen zu, dass man im Laufe seines Arbeitslebens sicher mit dieser Thematik konfrontiert wird.“
„Wir leben in einem schwarz-weiß-System: Entweder ist man gesund oder krank. Tatsächlich befinden wir uns aber meistens irgendwo im Graubereich dazwischen.“
Dr. med. Simon Senner, Chefarzt
Leben im Hamsterrad
Die Weichen für seine Erkrankung waren bei Robert Bock schon früh gestellt: Der Sohn eines Bauern und Gastwirts muss von klein auf mit anpacken, ist auf Leistung getrimmt. Mit 16 beginnt Bock eine Lehre als Industriekaufmann in einem mittelständischen Unternehmen, macht dort Karriere, wird Vertriebs-Geschäftsführer und ist in ganz Europa unterwegs. Nebenbei hilft er noch auf dem Hof, gründet eine Familie, ist immer auf Achse. Bis er auf einmal umfällt – keine körperliche Diagnose. Er macht weiter, bis er ein zweites Mal ohnmächtig wird, sich dann merkwürdig leer fühlt, stundenlang durchs Haus läuft. Nächste Station: Psychiatrische Abteilung im Bezirkskrankenhaus. Mit der richtigen Unterstützung hat Bock seine Krankheit überwunden. Heute gilt er als geheilt, arbeitet als Genesungsbegleiter und hilft anderen, den Weg aus einer psychischen Erkrankung zu finden.
„Aufgaben und Anforderungen sind wichtig. Nach meiner Genesung hat Arbeit mich stabil gehalten.“
Robert Bock, Genesungsbegleiter
Wie geht man mit psychisch Erkrankten um?
Psychische Erkrankungen bedeuten nicht nur für Erkrankte und Kollegen eine Belastung, sondern auch für Arbeitgeber. „Uns ist diese Herausforderung bewusst, aber man kommt um eine Auseinandersetzung nicht herum“, erklärt Katja Haid, die Handwerksbetriebe und Auszubildende bei Problemen in der Ausbildung unterstützt, „weil die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers in Deutschland gesetzlich verankert ist. Daher versuchen wir bei der Handwerkskammer so gut wie möglich zu helfen.“ Allerdings ist der Umgang mit psychisch Erkrankten sehr komplex. „Da kann man nicht mal schnell einen Luftfilter einbauen, wie bei anderen Arbeitsschutzmaßnahmen, und alles ist wieder gut“, sagt Simon Senner. Er rät zu den folgenden vier Schritten.
1. Eine psychische Erkrankung erkennen
Psychische Erkrankungen sind nicht so leicht zu erkennen wie ein gebrochener Arm. Meist hat man nur ein dumpfes Gefühl, eine Ahnung von „Da stimmt was nicht“. Weitere Anhaltspunkte können sein, dass sich Beschäftigte anders als sonst verhalten, sich zurückziehen, häufiger fehlen oder auch unkonzentriert oder leicht reizbar sind.
2. Betroffene ansprechen
Wenn der oder die psychisch Erkrankte angesprochen wird, ist es wichtig, sich dabei auf dessen oder deren Arbeitsverhalten zu konzentrieren, nicht auf die psychischen Probleme: also nicht sagen „Dir geht es doch gerade nicht gut, du wirkst so depressiv“, sondern eher: „Ich habe bemerkt, dass Du derzeit mehr Fehler machst, als ich das von Dir gewohnt bin und mache mir deshalb Sorgen. Wie geht es Dir denn?“
Wenn die Betroffenen selbst ein Gespräch anfangen, ist es wichtig, keine gut gemeinten Ratschläge zu geben oder sich als Hobbypsychologe zu versuchen („Mach doch mal Urlaub“), sondern ruhig zuzuhören und bei Bedarf auf professionelle Hilfsangebote zu verweisen.
Nicht jeder, der mal schlecht drauf ist, ist auch psychisch erkrankt. Eine psychische Erkrankung muss als solche diagnostizierbar sein. Sie muss darüber hinaus einer Behandlung bedürfen und behandlungsfähig sein.
„Bei uns kann man sich immer melden, egal ob Ausbilder, Lehrerin oder Auszubildender. Selbst wenn man nur ein Gefühl hat, dass etwas nicht stimmt. Wir beraten auch gerne präventiv.“
Katja Haid, Ausbildungsbegleiterin
3. Gemeinsam im Unternehmen Lösungen erarbeiten
Wenn psychische Erkrankungen vorliegen, dann sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Im Landkreis Konstanz gibt es dafür das Supported Employment des ZfP Reichenau. Es gibt auch die Möglichkeit Kontakt zu den sozialpsychiatrischen Diensten aufzunehmen. Sind Auszubildende betroffen, helfen die Ausbildungsbegleiterinnen der Handwerkskammer weiter.
Auf jeden Fall ist es wichtig, die Arbeit an die Belastbarkeit des Mitarbeitenden anzupassen. Nicht immer ist „weniger arbeiten“ die Lösung, es kommt auf individuelle Konzepte an.
4. Psychischen Belastungen vorbeugen
Die Gefährdungsbeurteilung, die jedes Unternehmen vornehmen muss, bezieht sich neben körperlichen auch auf psychische Belastungen – das heißt, diese müssen benannt und eingeschätzt werden. Ebenfalls verpflichtend ist die betriebliche Wiedereingliederung nach längerer Krankheit. Darüber hinaus können Arbeitgeber auf freiwilliger Basis viele weitere Maßnahmen ergreifen, die dabei helfen, psychischen Belastungen vorzubeugen: von flexiblen Arbeitszeitmodellen, die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf erleichtern, über finanzielle Zuschüsse für Sportangebote oder mentale Fitness bis hin zu entsprechenden Fortbildungen oder Gesundheitstagen. Ebenso entscheidend ist ein „gesunder“ Führungsstil der Vorgesetzten, der sich zum Beispiel durch Wertschätzung, Transparenz und Einbeziehen der Mitarbeitenden auszeichnet – und im Übrigen erlernbar ist.