5 Männer sitzen in einer Besprechungsrunde an einem Tisch
Oliver Hanser
In drei Workshops erarbeitete eine Gruppe von Schreinern, wie sie mit künftigen Veränderungen der Arbeit im eigenen Betrieb umgehen können

New Work-StudieWie wandlungsfähig ist das Handwerk?

„Der Einfluss von Megatrends und Geschäftsmodellinnovationen auf die Arbeit im Handwerk der Zukunft konkretisiert am Schreinerhandwerk und mit Handlungsempfehlungen für Betriebe, Handwerksorganisation und Politik“ – so der vollständige Titel einer Studie, die die Handwerkskammer im Rahmen der Zukunftsinitiative Handwerk2025 durchgeführt hat.

Das Autorenteam kommt dabei zum Ergebnis, dass sowohl Handwerksbetriebe als auch die Organisationen des Handwerks noch Nachholbedarf haben, um die Aufgaben von morgen zu stemmen. Eindrücklich haben die Macher der Studie erarbeitet, welche aktuellen und zukünftigen Herausforderungen sich aus den Megatrends wie Digitalisierung oder Globalisierung für Handwerksbetriebe ergeben, inwieweit sie diese meistern können und welche Rolle den Handwerksorganisationen zukommt.

Über die Ergebnisse der Studie sprachen wir mit Georg Hiltner, Hauptgeschäftsführer der Handwerkskammer Konstanz sowie den Autoren Prof. Dr. Jürgen Wagenmann, Leiter des Instituts für KMU und Handwerk an der Allensbach Hochschule Konstanz, Dennis Schäuble, Leiter des Unternehmensservice bei der Handwerkskammer, und Stephan Schmidt, Schreinermeister und Inhaber des Schreinerbetriebs Möbelschmiede in Zußdorf-Wilhelmsdorf.

Megatrends wie Digitalisierung und Globalisierung beeinflussen alle Bereiche des Lebens und wirken sich natürlich auch auf die Arbeit in handwerklichen Betrieben aus. Wie viel Handwerk steckt künftig noch im Handwerk?

Hiltner:
Das Handwerk wird nach wie vor stark im Bereich individuelle Dienstleistung beim und für den Kunden, Reparatur, Sanierung und Montage bleiben. Wenn die Unternehmen es schaffen, ihre handwerkliche Expertise mit den modernen Möglichkeiten der Digitalisierung zu verbinden, sehe ich keine Probleme für die Zukunft. Das erfordert aber bei so manchem Unternehmen ein Umdenken. Insbesondere kleinere Unternehmen machen sich hier noch zu wenig Gedanken, was das für ihr aktuelles Geschäftsmodell bedeutet.

Sind die Handwerksbetriebe auf diesen Wandel gut vorbereitet?

Schmidt:
Ich kann nur für das Schreinerhandwerk sagen, dass es hier eine Spanne von wenigen sehr gut aufgestellten Betrieben bis wenigen „das lohnt sich nicht (mehr)“ Betrieben gibt. Der große Teil dazwischen ist im Großen und Ganzen aufgrund der Komplexität und der sich überschneidenden Megatrends überfordert. Sich zukunftsfähig aufzustellen braucht den offenen und ehrlichen Austausch mit Kollegen und Mitarbeitenden, aber auch z.B. mit der Handwerkskammer, Abwägung, Zeit und Geld. In Zeiten, in denen die Auftragsbücher voll sind und Zeitdruck herrscht, kommen solche überlebenswichtigen Auseinandersetzungen sicherlich deutlich zu kurz. Das Wissen um die Notwendigkeit der großen Transformationsaufgaben ist außerdem bei den Betrieben noch nicht angekommen.

Was kann das Handwerk von der Industrie lernen?

Wagenmann:
Für Handwerksbetriebe gelten dieselben betriebswirtschaftlichen Grundsätze wie für Industrieunternehmen. So können Handwerksbetriebe durch Standardisierung, Modularisierung (Baukastenprinzip) und Digitalisierung der Produktion Kosten senken und ihr Betriebsergebnis verbessern. Die Automobilindustrie macht Standardisierung und Produktion nach dem Baukastenprinzip schon seit Langem vor. Je höher der Standardisierungsgrad, desto niedriger die Stückkosten. Im Rahmen der Digitalisierung ist E-Commerce ein wichtiges Zukunftsthema. Eine professionell gestaltete Website mit Kundentermin-Management oder Produktkonfigurationsmöglichkeit oder die Nutzung von Social Media sind gute Beispiele. Auch die Überwindung des häufig übertriebenen Konkurrenzdenkens kann Optimierungseffekte für die Handwerksbetriebe haben: Kooperative Ansätze wie z.B. Werkstatt- oder Maschinengemeinschaften nach dem Vorbild landwirtschaftlicher Genossenschaften wirken kostensenkend, oder Bieter- und Arbeitsgemeinschaften nach dem Vorbild der ARGEn im Baugewerbe. Diese können die Wettbewerbsposition kleiner Handwerksbetriebe gegenüber industriellen Anbietern verbessern.

Welche Beispiele für innovative Geschäftsmodelle gibt es bereits im Handwerk?

Schäuble:
Da gibt es viele. Zum Teil wissen die Betriebe nicht einmal, dass sie bereits ein innovatives Geschäftsmodell anwenden. Sie haben einfach intuitiv an den richtigen Stellschrauben gedreht. Bei einem innovativen Geschäftsmodell geht es nicht immer darum, etwas Neues zu entwickeln oder zu erfinden, sondern auch darum, Ideen oder Anwendungen aus anderen Bereichen zu adaptieren. Warum sollte es im Handwerk keine Anreize für langjährige Treue oder Abo-Modelle geben? Die Multiplikation von Kompetenzen außerhalb des Kerngeschäfts bietet sich im Handwerk genauso an, wie in anderen Wirtschaftskreisen.

Was muss innerhalb der handwerklichen Aus- und Weiterbildung verändert werden?

Hiltner:
Um Berufsbilder zu erneuern und zu modernisieren, sind mehrstufige, langwierige Abstimmungsverfahren notwendig.  Bis sich alle beteiligten Partner auf Bundes- und Landesebene geeinigt haben, dauert es einfach zu lange. Dieser Prozess muss beschleunigt werden und dazu brauchen wir einen offeneren Austausch. Auch neue didaktische Ansätze müssen stärker in die überbetriebliche Ausbildung und der Weiterbildung einfließen und sich auch in Unterrichtsformaten und Lernmaterialien widerspiegeln.  Wo wir freie Hand haben, sind wir hier schon sehr weit in unseren Bildungseinrichtungen. Ein großes Thema der Zukunft ist für uns darüber hinaus, das Amt des Prüfers für Jüngere attraktiver zu machen.

Wie müssen sich die Organisationen des Handwerks künftig aufstellen?

Hiltner:
Unsere Aufgabe ist es, Handwerksbetriebe vor dem Hintergrund der Megatrends in eine erfolgreiche Zukunft zu begleiten. Wir werden daher entsprechende Angebote ausbauen wie Beratungen und Veranstaltungen zum Innovationsmanagement oder zu neuen Geschäftsmodellen. Gerade kleinere Unternehmen brauchen hier Hilfe. Die Herausforderungen sind riesig, da dürfen wir uns auch nicht so sehr im Klein-Klein verlieren, wenn wir leistungsfähig sein und Gehör bei der Politik finden wollen. Innungen, Kreishandwerkerschaften und die Kammer sollten sich dabei noch besser abstimmen und als starke Einheit auftreten.




Zur Studie:

Die Modellprojekt-Studie hat zum Ziel, den Einfluss von Megatrends und den hierdurch induzierten Geschäftsmodellinnovationen auf die Arbeit im Handwerk der Zukunft vorherzusagen. Exemplarisch wurde dies am Beispiel des Schreiner-handwerks untersucht, wobei sich die Ergebnisse auch auf andere Gewerke übertragen lassen. Zur empirischen Fundierung wurden drei eintägige Workshops mit Schreinerbetrieben aus dem eigenen und benachbarten Kammerbezirken veranstaltet, deren Ergebnisse in die Studie eingeflossen sind. Das Projekt wurde vom Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus Baden-Württemberg im Rahmen der "Zukunftsinitiative Handwerk 2025" gefördert.

Die Studie steht zum Download zur Verfügung.